Häufige Krankheiten – modern behandelt
Wenn von April bis Juli mit Interklub- und Klubmeisterschaften für viele Hobbyspieler die Höhepunkte des Tennisjahrs anstehen, häufen sich auch die Klagen über schmerzende Ellbogen: Der Tennisarm hat – so zumindest die subjektive Wahrnehmung - Hochsaison.
Tatsächlich ist die Epicondylitis humeri radialis, wie der Fachbegriff für den Tennisarm lautet, auf eine Überbeanspruchung der Streckmuskulatur von Handgelenk und Hand zurückzuführen. Ist die Beugemuskulatur betroffen, spricht man dagegen vom «Golferellbogen», der Epicondylitis humeri ulnaris. Allerdings werden die so bezeichneten Krankheitsbilder nur in der Minderheit der Fälle durch den Tennis- oder Golfsport ausgelöst. Vielmehr können sie durch eine Vielzahl von Tätigkeiten verursacht werden, die mit repetitiver Belastung der genannten Muskelgruppen einhergehen. Regelmässiges Tippen am PC gehört genauso dazu wie sich ständig wiederholende Bewegungsabläufe bei handwerklicher Betätigung oder bei Haushaltsarbeiten.
Mikroverletzungen
Die betroffenen Muskelgruppen sind im Bereich des Ellbogengelenks durch ihre Sehnen mit dem Oberarmknochen verbunden. Diese Verbindung stellt relativ gesehen eine Schwachstelle des menschlichen Bewegungsapparats dar, weshalb sich eine Überlastung hier leicht bemerkbar macht. Es kommt zu einer Verletzung des Gewebes, die durch die Bildung feinster Risse charakterisiert ist. Die Mikroverletzungen der Sehne setzen Reparaturmechanismen im Sinne einer Narbenbildung in Gang, die mit einer Entzündungsreaktion und im chronischen Fall einer Degeneration des Gewebes einhergehen. Die Entzündung führt zu den charakteristischen Schmerzen am Ellbogen, die im Extremfall schon in Ruhe auftreten und die betroffene Hand in ihren Funktionen massiv einschränken können.
Dass dieses Krankheitsbild mitunter durch «harmlose» Tätigkeiten wie ständiges Hantieren mit der Computermaus ausgelöst wird, erstaunt den Laien, kann aber vom Experten erklärt werden. Es sei in diesem Zusammenhang zwischen repetitiver Dauerbelastung und der sogenannten Spitzenbelastung zu unterscheiden, erklärt Dominik Meyer, orthopädischer Chirurg und Medizinphysiker, der an der Universitätsklinik Balgrist die Schulter- und Ellbogenchirurgie leitet. Was zähle, sei die Summe beider Belastungsformen. Variablen, die im Tennissport die Belastung der betroffenen Sehnen modulieren, sind etwa Art und Alter der verwendeten Saite, Schlägerkopfgrösse, Schlägermaterial und Gewichtsverteilung des Schlägers. Die Griffdicke scheint dagegen nach neueren Erkenntnissen nicht entscheidend zu sein.
Der Tennisarm zählt im orthopädischen Fachgebiet zu den häufigsten Erkrankungen – für Spezialisten wie Dominik Meyer ist er mit einem Anteil von über 30 Prozent der Konsultationen wegen Ellbogenproblemen gewissermassen das tägliche Brot. Dennoch empfiehlt er, bei verdächtigen Beschwerden zunächst den Hausarzt zu konsultieren. Denn ein Tennisarm könne im Normalfall mit einfachen Funktionstests rasch und zuverlässig diagnostiziert werden.
Der Einbezug von Spezialisten ist laut Meyer dann sinnvoll, wenn das Beschwerdebild unklar ist oder über längere Zeit keine Besserung erreicht werden kann. Aufwendige und zum Teil teure diagnostische Verfahren wie das MRI hält er nur in speziellen Fällen für nötig, etwa nach früheren, erfolglosen Operationen. Obwohl operativ tätig, ist für Meyer ein chirurgischer Eingriff zur Behandlung eines Tennisellbogens die Ultima Ratio.
Schonung und Medikamente
Nahezu unbestritten ist unter Experten, dass das betroffene Handgelenk und die Hand geschont werden sollen; auch eine Ruhigstellung mittels Schiene oder Handgelenksmanschette kann fallweise sinnvoll sein. Die Weiterführung der schmerzauslösenden Bewegungen unterhält den Verletzungsmechanismus, führt zur Chronifizierung und letztlich zu degenerativen Erscheinungen im Bereich des Sehnenansatzes. Schonung in Kombination mit entzündungshemmenden Schmerzmitteln wie etwa Voltaren oder Brufen, die in Tablettenform eingenommen und unterstützend als Salbe appliziert werden, kann deshalb als Basismassnahme gelten.
Den vielleicht wichtigsten Pfeiler der Behandlung bildet die regelmässige Dehnung der betroffenen Muskeln. Sie führt zu einer erhöhten Elastizität des Muskel-Sehnen-Strangs, was sowohl die in Ruhe vorhandene Grundspannung als auch Spitzenbelastungen zum Beispiel beim Backhand-Volley reduziert. Als weitere empfehlenswerte Massnahme nennt Meyer exzentrische Kräftigungsübungen, die mit kurzen Schaumgummistäben («Flex Bars») durchgeführt werden. Die wirksamen Übungen können vom Physiotherapeuten einfach instruiert oder unter dem Stichwort «Tyler Twist» sogar in kurzen Filmsequenzen auf «Youtube» angeschaut werden.
Für andere verbreitete Behandlungsansätze ist die Datenlage dagegen weniger günstig. Dies gilt zum Beispiel im Langzeitverlauf für die vergleichsweise oft und teilweise in Kombination mit Lokalanästhetika angewandten Kortisonspritzen. Kurzfristig kann ihr Einsatz sinnvoll sein und die Beschwerden abklingen lassen, längerfristig scheinen sie sich aber nicht positiv auszuwirken. Ähnlich sieht es für die Stosswellentherapie und weitere physikalische Therapieverfahren aus.
Die Wirkung der in Spielerkreisen beliebten Bandagen sieht der Spezialist eher im psychologischen Bereich, da sie ein Gefühl der Sicherheit und Stabilität vermittelten. Exotischere Strategien wie den Einsatz des Ananas-Enzyms Bromelain bezeichnet Meyer als «nicht fundiert». Bei neueren Verfahren, etwa den mittlerweile auch beim Tennisarm angewandten Botox-Spritzen, die durch Muskellähmung eine Entlastung der gestressten Sehne bewirken, ist er aus einem andern Grund zurückhaltend. Vom Wirkmechanismus her sei der Einsatz von Botox einleuchtend, es stelle sich aber die Frage nach einer möglichen Schwächung der Handfunktion und dem Kosten-Nutzen-Verhältnis. Zudem sei diese Form der Behandlung erst in wenigen Studien erprobt worden.
Gute Prognose
Und die Operation? Als Faustregel sollte sie laut Meyer dann erwogen werden, wenn eine über ein Jahr durchgeführte «konservative» Therapie keinen Erfolg gebracht hat. Der Eingriff besteht im Herausschneiden des degenerierten Sehnenstrangs, der keine isolierte «Schnur» darstellt, sondern Bestandteil eines Sehnenverbunds ist. Die Durchtrennung führt zu einer Entlastung der erkrankten Stelle, deren Funktion vorübergehend von den umgebenden Anteilen übernommen wird.
Bei korrekt durchgeführter Operation liegt die Erfolgsrate laut Meyer bei über 90 Prozent. Was zur abschliessenden guten Nachricht führt: Da bereits unter «konservativer» Behandlung bei rund 90 Prozent der Betroffenen der Tennisarm innert eines Jahres abheilt, steht weiteren Grosstaten auf dem Tennisplatz in der Regel nichts im Weg.
Bruno Kesseli
Arzt, Wissenschaftsjournalist und Chefredaktor der «Schweizerischen Ärztezeitung»
Dieser Artikel ist bereits in der NZZ erschienen. Wir dürfen ihn im SART-Blog mit freundlicher Genehmigung abdrucken.