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Kurz, kürzer, Muskelfaserriss?

Weisen verkürzte Hamstrings ein erhöhtes Verletzungsrisiko auf? Martin Hauser und Christa Dündar-Jenni haben sich dieser Frage in ihrer Bachelorarbeit gewidmet.

In der Gegenüberstellung der sechs Studien zeigt sich eine Tendenz, dass verkürzte Hamstrings bei männlichen Sportlern einen Zusammenhang mit deren Verletzungsrisiko aufweisen. Eine abschliessende Beantwortung der Fragestellung dieser Bachelorarbeit ist aufgrund der unterschiedlichen Resultate jedoch nicht möglich. 

Trotzdem kann mit der aufgezeigten Tendenz eine Empfehlung für Physiotherapeutinnen und -therapeuten sowie Freizeit- und Profisportlerinnen und -sportler für die Prävention und Rehabilitation von Hamstringsverletzungen abgegeben werden: 

 

  • Einerseits sollten Sportlerinnen und Sportler, welche zu verkürzten Hamstrings neigen, für eine Verletzungsprophylaxe darauf achten, ein grösstmögliches ROM zu erreichen und zu erhalten. Ein Muskellängentest zu Saisonbeginn kann sinnvoll sein, um Sportlerinnen und Sportler mit verkürzten Hamstrings zu erkennen. Risikofaktoren für eine Muskelverkürzung wie lange Immobilisation oder einseitige Trainingsgewohnheiten sollen ausserdem möglichst vermieden werden. 
  • Andererseits soll nach einer erfolgten Verletzung vor der Wiederaufnahme der sportlichen Tätigkeit grosser Wert gelegt werden, wieder ein physiologisches ROM zu erreichen, um die Gefahr einer Retraumatisierung so klein wie möglich zu halten. 

 

Nur zwei der sechs Studien machen eine Aussage darüber, wie stark das Verletzungsrisiko durch verkürzte Muskulatur zunimmt. Für Sportlerinnen und Physiotherapeuten wäre es wichtig, eine konkrete Aussage über die Risikozunahme zu erhalten, um beurteilen zu können, ob sich der Aufwand für gezieltes Dehnen oder andere Präventivmassnahmen überhaupt lohnt. Ausserdem hat sich gezeigt, dass das Risiko, eine Hamstringsverletzung zu erleiden, von vielen Faktoren abhängt. Somit drängt sich die Frage auf, ob es Sinn macht, den Faktor „Muskellänge“ isoliert zu betrachten, wie es in einigen Studien gemacht wird.

 

Hamstringsverletzungen ereignen sich meistens in derjenigen Phase der Sprintbewegung, in welcher die Muskelgruppe exzentrisch belastet wird (vgl. Kapitel 3.2.4). Dabei werden die Hamstrings dynamisch gedehnt. Inwiefern eine statische, endgradige Messung des ROMs eine Aussagekraft bezüglich Verletzungsgefahr hat, bleibt deshalb ebenfalls fraglich.

 

Die Aussage der Bachelorarbeit lässt zudem die Frage aufkommen, welche Massnahmen sinnvoll sind, um Muskelverkürzungen entgegenzutreten bzw. um das ROM zu erhalten oder zu verbessern. Oft kommt als Massnahme Dehnen zum Einsatz. Der Wirkungsgrad des Dehnens ist unter Fachleuten jedoch umstritten. 

 

Eine weitere Unklarheit betrifft die exzentrische Kraft der Hamstrings. Im Kapitel 3.2.4 (Bachelorarbeit im Anhang unten) wird beschrieben, dass beim Sprint eine hohe exzentrische Kraft der Hamstrings notwendig ist. Bei verkürzten Hamstrings ist eine noch höhere Kraft gefordert, wodurch das Verletzungsrisiko steigt. Als Konsequenz daraus könnte ein Ansatz für die Physiotherapie sein, einen verkürzten Muskel nicht nur zu dehnen, sondern auch gezielt mit exzentrischem Krafttraining zu behandeln. Dies könnte sowohl für die Prävention als auch gegen Ende der Rehabilitation einer Hamstringsverletzung von Bedeutung sein. Die Evidenz dieser Therapiemassnahme bleibt jedoch Gegenstand weiterer Untersuchungen. 

 

Der Einfluss eines verkürzten M. quadriceps auf Hamstringsverletzungen wurde nur in einer Studie untersucht und ist deshalb noch weitgehend ungeklärt. Auch diesbezüglich sind weitere Studien wünschenswert.

 

 

Christa Dündar-Jenni, Zürich, Email an Christa Dündar-Jenni

Martin Hauser,  Zürich, Email an Martin Hauser

 

Weitere Informationen in der Bachelorarbeit. Zum Download geht es hier entlang:

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Bachelorarbeit
Hauser_Martin_Jenni_Christa_Physiotherap
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