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10 000 Schritte gehen ist so effektiv wie Physiotherapie

Millionen von Menschen leiden weltweit unter Rückenschmerzen – Tendenz steigend. Viele von ihnen lassen sich physiotherapeutisch behandeln. Dabei wäre 10 000 Schritte gehen ebenso effektiv. Motivieren Sie Ihre Patient*innen dabei, Gehen neben ihrer Therapie in den Alltag zu integrieren. Von Pascual Brunner.

Ein Lastwagenfahrer fährt, Tag ein Tag aus, weite Strecken in seinem Fahrzeug, quer durchs ganze Land. Eine Frau geht einem Job in einem Büro nach, pendelt abends an ihren 30 Kilometer entfernten Wohnort. Was haben die beiden gemeinsam? Sie sitzen viel. Im Fahrzeug, im Büro, in öffentlichen Verkehrsmitteln oder im Auto.

 

Vielleicht sind sie noch fit und haben keine körperlichen Beschwerden. Vielleicht gehören sie zu den Menschen, die an Rückenschmerzen leiden – wie rund 540 Millionen Betroffene weltweit. Seit 1990 ist die Zahl um 50 Prozent gestiegen. Mit dem zunehmenden Alter der Bevölkerung wird es in den kommenden Jahrzenten noch mehr Menschen mit Rückenschmerzen geben.

 

Bewegungsmangel ist die Hauptursache für Rückenschmerzen

Unser Lebensstil verändert sich, wir verbringen viel Zeit im Sitzen. Gehen wir zu Fuss oder laufen wir, rotiert die Wirbelsäule verstärkt. Fehlt diese Rotation, entstehen früher oder später Rückenschmerzen und Autonomieverlust. Wer Rückenschmerzen hat, nimmt Schonhaltungen ein, was zu Fehlbelastungen und Verspannungen führt – ein Teufelskreis. Hinzu kommt, dass die Physiotherapie einen falschen therapeutischen Ansatz verfolgt. Das ist wissenschaftlich belegt.

 

Es ist so: Strukturelle Faktoren wie Lendenlordose, Beckenneigung und Muskellänge können nicht direkt mit Rückenschmerzen in Verbindung gebracht werden. Auch ist eine abnehmende Kondition und die damit verbundene Muskelschwäche nicht für Rückenschmerzen verantwortlich.

 

Fazit: Spezifische Stabilisations- und Kraftübungen sind allgemeinen Bewegungsübungen nicht überlegen. Im Gegenteil. Gehen ist einer herkömmlichen Therapieform gleichwertig.

 

Ziele der Therapie

Wirbelsäulensteifigkeit vermindern, ihre Bewegungsfreiheit und -variabilität fördern – das sind die Ziele in der Rehabilitation und beim Behandeln von Rückenschmerzen. Das können Betroffene auch erreichen, indem sie 10 000 Schritte pro Tag gehen. Ausgedehntes Spazieren ist einfach, günstig, für viele körperlich machbar und unter dem Strich so effektiv wie Rehabilitationsübungen.

 

Physiotherapeut/innen: Das müssen Sie über die Wirbelsäule wissen

Damit Sie besser verstehen, weshalb das Gehen bei Wirbelsäulenleiden so effektiv ist, müssen wir die Bewegung in der Wirbelsäule genauer untersuchen. Dabei beachten wir die Sagitalebene, die Frontalebene und die Transversalebene.

Rückenschmerzen werden chronisch, weil die Wirbelsäulen-Rotationskapazität am stärksten degeneriert. Beschleunigt ein professioneller 100-Meter-Läufer bis zum Erreichen seiner Maximalgeschwindigkeit, können wir ein antiphasisches Koordinationsmuster mit abnehmenden Bewegungsumfang der Wirbelsäule in der Frontal- und Sagitalebene beobachten. In der Transversalebene prägt sich die Rotationbewegung immer mehr aus. Das fördert die Schrittlänge und verhindert einen zu raschen Energie- und Leistungsverlust.

So entstehen chronische Rückenschmerzen

Personen mit Rückenschmerzen haben beim Gehen und Rennen eine reduzierte Wirbel-Rotationsfähigkeit. Bewegen sie sich schneller, reagiert die Wirbelsäule in der Rotationsbewegung – sie wird steifer und ist weniger flexibel. Zuerst ist das ein Schutz vor ungewollten Rotationsbewegungen. Doch das führt mit der Zeit zu einem reduzierten Bewegungsumfang in den Wirbelgelenken und einer überhöhten Muskelaktivität bei anderen Bewegungen. Was passiert? Das Koordinationsmuster der Wirbelsäule verändert sich. Zudem haben diese Menschen Angst, dass sie Schmerzen bekommen. Diese Kettenreaktion ist einer der Hauptgründe, dass Rückenschmerzen chronisch werden.

 

Gehen vermehrt im Alltag integrieren

Egal, ob Ihre Patient/innen Lastwagenfahrer sind oder im Büro arbeiten. Fördern und motivieren Sie sie, dass sie das Gehen vermehrt in ihren Alltag integrieren – zusätzlich zu Ihrer Therapie. Sie kennen sie am besten und wissen, wie viel Sie ihnen zumuten können. Nicht alle schaffen von jetzt auf sofort 10 000 Schritte. Doch sie können es aufbauen, in ihrem Tempo. Dies, indem sie eine Tramstation früher aussteigen und zu Fuss gehen, die Treppen statt dem Lift nehmen oder mit der Schrittlänge und dem Tempo variieren.

 

Weitere Informationen:

MovementSciences AG

Pascual Brunner

Binzmühlestrasse 97

8050 Zürich


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