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Eine aktuelle Betrachtung des Zusammenhangs von Stress und Sport

Gesunde und kranke Menschen aller Lebensalter und Lebenswelten verbindet in unseren entwickelten Ländern dasselbe Phänomen „Stress“: wachsende psychische und psychosoziale Belastungen, die immer häufiger zu Überbeanspruchung und Überforderung führen. Das geht einher mit mangelndem Wohlbefinden auf der körperlichen und seelischen Ebene. Ein Blog von Lisa Runge.

 

Viele Studien beschäftigen sich mit diesem spannenden Thema und durchleuchten in wiefern Sport und Bewegung sich auf die Gesundheit auswirken. Dieser Blog gibt eine kleine Übersicht, welche Schlüsselwörter in dem Zusammenhang von Bewegung und Stress gebraucht werden, die derzeitige Studienlage, was aktuell in der Schweiz diesbezüglich erforscht wird und was dies für die Physiotherapie bedeutet.

 

Zu unterscheiden sind prinzipiell zwei Perspektiven auf das Thema „Stressregulation und Sport“:

  1. Zum einen die eher gesundheitsbezogene Perspektive „Stressregulation durch Sport“. Wie können Sport und Bewegung dazu beitragen, mit Stress und Belastung im Alltag besser umzugehen, sodass die Gesundheit davon möglichst wenig beeinträchtigt wird?
  2. Zum anderen die eher leistungsbezogene Perspektive „Stressregulation im Sport“. Wie können Athleten im Wettkampf mit Stress und Druck so umgehen, dass ihre Leistungsfähigkeit davon möglichst wenig beeinträchtigt wird?

In diesem Blog gehe ich nur auf ersteren Punkt ein.

 

In den Artikeln, die ich dazu gelesen habe wird immer wieder von der Stresspuffer Hypothese berichtet. Sie besagt, dass Sportaktivität die negativen Auswirkungen von Stress auf die Gesundheit „abzupuffern“ vermag.

 

Stresspuffereffekte werden unterteilt in drei unterschiedliche Wirkweisen:

  • Stressreduzierende Wirkweise: Bewegung und Sport tragen dazu bei, dass bestimmte Stressoren gar nicht erst auftreten (z. B. Vorbeugung von chronischen Erkrankungen oder sozialer Isoliertheit).
  • Ressourcen stärkende Wirkweise: Bewegung und Sport tragen dazu bei, dass bestimmte Ressourcen gestärkt werden, die sich ihrerseits günstig auf den Stressbewältigungsprozess auswirken (z. B. Aufbau von Selbstvertrauen und mentaler Stärke, Verfügbarkeit von sozialem Rückhalt im Bedarfsfall; für einen Überblick über den aktuellen Forschungsstand siehe Fuchs und Klaperski 2018).
  • Reaktionsmindernde Wirkweise: meint, dass physiologische, psychologische oder verhaltensbezogene Stressreaktionen geringer ausfallen (reduzierte Reaktivität) oder schneller wieder das Ausgangsniveau hergestellt werden kann (verbesserte Regeneration).

Longitudinale Studien deuten darauf hin, dass zwischen körperlicher Aktivität und Stress mit grosser Wahrscheinlichkeit ein reziproker Zusammenhang besteht. Was nichts anderes bedeutet, als dass beide Faktoren sich gegenseitig beeinflussen. Diesen Zusammenhang kann man in der Forschung beobachten.

 

So zeigen prospektive Studien einerseits, dass sich der bei Baseline erfasste Umfang an körperlicher Aktivität zur Vorhersage einer verminderten Stresswahrnehmung beim Follow-up eignet (Jonsdottir et al. 2010; Schnohr et al. 2005). Andererseits zeigen mehrere Studien, dass Stress zu verminderter körperlicher Aktivität führt, und zwar unabhängig davon, ob ein experimenteller Ansatz gewählt (Roemmich et al. 2003), Stress auf Tagesebene erfasst (Sonnentag und Jelden 2009) oder länger anhaltende Stressbelastungen (Oaten und Cheng 2005) erhoben wurden.

 

Mit anderen Worten, es bleibt unklar, ob die statistischen Zusammenhänge von Sport auf das seelische Wohlbefinden darauf beruhen, dass körperliche Aktivität stressmindernd wirkt oder gestresste Personen einfach dazu neigen, weniger körperlich und sportlich aktiv zu sein. Auch in der Schweiz wird dazu geforscht.

 

Um herauszufinden, ob ein hoher Fitness-Zustand den gesundheitsschädigenden Einfluss von Stress »abpuffert«, führten Forschende aus der Schweiz und Schweden mit rund 200 im Gesundheitswesen beschäftigten Personen eine Untersuchung durch. Der Fitness-Zustand wurde objektiv mittels eines submaximalen Fitness-Tests erfasst (»Åstrand-Fahrradergometer-Test«). Basierend auf alters- und geschlechterspezifischen Normen wurden die Teilnehmenden in drei Gruppen mit niedrigerer, mittlerer und hoher Fitness kategorisiert. Die Stressbelastung wurde mit einem Fragebogen erfasst. Darauf aufbauend wurden zwei Gruppen gebildet (hohe vs. niedrige Stressbelastung). Darüber hinaus wurden sowohl die psychische Gesundheit (Depression, Burnout) als auch Risikomarker für kardiovaskuläre Krankheiten erfasst (z. B. Blutdruck, BMI, Blutfettwerte, Blutzucker). Insgesamt zeigten die Ergebnisse, dass sich die drei Fitness-Gruppen bei tiefer Stressbelastung kaum in den untersuchten Gesundheitsparametern voneinander unterschieden. Bei hoher Stressbelastung waren bei den Untersuchungsteilnehmern mit niedriger Fitness jedoch mehr gesundheitliche Beeinträchtigungen zu erkennen als bei Personen mit mittlerer und hoher Fitness.

 

Wie so oft in der Wissenschaft sind selten kausale Rückschlüsse erlaubt. Es bleibt auch unklar, ob die statistischen Zusammenhänge darauf beruhen, dass körperliche Aktivität stressmindernd wirkt oder gestresste Personen einfach dazu neigen, weniger körperlich und sportlich aktiv zu sein. Trotzdem kommen viele Studien zum dem Schluss, dass ein hohes Mass an körperlich-sportlicher Aktivität mit einer geringeren Stresswahrnehmung assoziiert ist. Uns Physiotherapeut*innen werden diese Rückschlüsse nicht neu sein, jedoch helfen solche Studien, und der Diskurs darüber, noch selbstbewusster den Patient*innen zum Sport zu motivieren, um den Rehaprozess positiv zu unterstützen. Auch wenn es eine grosse Herausforderung ist, grade in der Physiotherapie haben wir die Möglichkeit den, die Patient*in sowohl auf der physischen als auch auf der psychischen Ebene zu erreichen. Und manchmal ist das physische Problem nicht zu lösen ohne dass man das seelische auch in Angriff nimmt.

 

In diesem Sinne bleibt fit und bleibt gesund.

 

Lisa Runge


Literatur

Fuchs, R., & Klaperski, S. (2018). Stressregulation durch Sport und Bewegung. In R. Fuchs & M. Gerber (Hrsg.), Handbuch Stressregulation und Sport. Berlin: Springer, S.205–226.

 

Jonsdottir, I. H., Rödjer, L., Hadzibajramovic, E., Börjesson, M., & Ahlborg, G., Jr. (2010). A prospective study of leisure-time physical activity and mental health in Swedish health care workers and social insurance officers. Preventive Medicine, 51, 373–377.

 

Schnohr, P., Kristensen, T. S., Prescott, E., & Scharling, H. (2005). Stress and life dissatisfaction are inversely associated with jogging and other types of physical activity in leisure time – The Copenhagen City Heart Study. Scandinavian Journal of Medicine and Science in Sports, 15, 107–112.

 

Roemmich, J. N., Gurgol, C. M., & Epstein, L. H. (2003). Influence of an interpersonal laboratory stressor on youths’ choice to be physically active. Obesity Research, 11, 1080–1087.

 

Sonnentag, S., & Jelden, S. (2009). Job stressors and the pursuit of sport activities: A day-level perspective. Journal of Occupational Health Psychology, 14, 165–181.

 

Oaten, M., & Cheng, K. (2005). Academic examination stress impairs self-control. Journal of Social and Clinical Psychology, 24, 254–279.