Ein Blog über die Literaturarbeit von Ursula Zweckstätter.
(Berner Fachhochschule, Gesundheit Fachkurs „Wissenschaftliches Arbeiten – reflektierte Praxis“, Januar-April 2024 Studienleitung: Madeleine Bernet / Heike Kubat)
Einleitung
Die Achillessehne (lat. Tendo calcaneus oder Tendo Achillis) ist die grösste und stärkste Sehne des menschlichen Körpers und ist die sehnige Verlängerung der Waden- und Kniemuskulatur, nämlich des Musculus Gastrognemius und Musculus Soleus. Sie ist hauptverantwortlich für die Kraftübertragung auf den Fuss und aufgrund ihrer Funktion und Beanspruchungsintensität anfällig für Verletzungen und Überlastungsschäden (Turner et al., 2020); wie z.B. die sogenannte Achillessehnentendinopathie.
Die Achillessehnentendinopathie ist eine häufig auftretende Muskel-Skelett-Erkrankung, die mit starken Schmerzen verbunden ist. Betroffene Patient:innen leiden mitunter jahrelang unter schmerzhaften Symptomen. Eine:r von vier Patient:innen haben sogar noch nach 10 Jahren anhaltende Beschwerden (Van der Vlist et al., 2020). Sowohl Sportler:innen, deren Achillessehnen besonders beansprucht werden, als auch weniger aktive oder überwiegend sitzend berufstätige Menschen können diese schmerzhaften Beschwerden aufweisen (Turner et al., 2020). Die Häufigkeit der Achillessehnentendinopathie liegt bei Sportler:innen bei 16-24% (Wünnemann & Rosenbaum, 2009) und in der Allgemeinbevölkerung bei 0,2% (De Jonge et al., 2011).
Die vorhandenen Therapiemöglichkeiten sind vielseitig und reichen von konservativen Behandlungsmethoden, wie Krafttraining, Stosswellentherapie, Injektionen oder Einlagenversorgung, bis zu operativen Eingriffen.
Das Krankheitsbild der Achillessehnentendinopathie begleitet mich in meinem Berufsalltag als Physiotherapeutin bereits viele Jahre.
Die Patient:innen, die sich bei mir vorstellen, leiden sowohl an belastungsabhängigen Schmerzen, als auch teilweise an Ruheschmerzen. Sie haben dadurch eine stark verminderte Lebensqualität. In meinem Praxisalltag beobachtete ich einen eingeschränkten Bewegungsfluss, z.B. sind die Abrollbewegungen des Fusses derart stark schmerzhaft, dass Unebenheiten und Treppen ein Hindernis darstellen. Das wichtigste Ziel meiner Therapie muss also immer sein, den Schmerz zu reduzieren, um die Lebensqualität zu verbessern. Deshalb stellt sich im Praxisalltag auch innerhalb des Kollegiums immer wieder die Frage, wie man diese Schmerzreduktion am effektivsten erzielen kann und welche Behandlungsformen, alterprobte oder neu entwickelte, hierfür zur Verfügung stehen.
Fragestellung und Zielsetzung
Die Fachliteratur zur Achillessehnentendinopathie weist darauf hin, dass Kraft- und Ausdauerdefizite der Plantarflexoren als ursächlich angesehen werden können, weshalb exzentrisches Krafttraining als mögliche Übungsintervention als eine der vielversprechendsten Therapieformen empfohlen wird (O`Neill et al., 2019).
Dennoch ist die Studienlage nicht ausreichend, um die Wirkung verschiedener Übungsinterventionen auf die Verbesserung bestimmter Funktionen, wie Kraft oder Ausdauer, genau zu bestimmen (Kim et al., 2023). Zudem sind in den meisten Studien verschiedene, teils kombinierte Interventionen gemeinsam untersucht oder verschiedene Messungen der Ergebnisse vorgenommen worden, was eine eindeutige Zuschreibung von exzentrischem Krafttraining als Intervention mit der höchsten Evidenz nur begrenzt zulässt (Sivrika et al., 2023).
Die Fragestellung dieser Literaturarbeit ist deshalb, ob und in welchem Ausmass Krafttraining die Schmerzsymptomatik und damit die Lebensqualität bei Patient:innen mit Achillessehnentendinopathie tatsächlich beeinflusst.
Zur Beantwortung der Fragestellung widmet sich diese Arbeit der aktuellen wissenschaftlichen Literatur zu diesem Thema. Das Ziel ist es, anhand von zwei wissenschaftlich publizierten systematischen Übersichtsarbeiten (engl. Systematic Reviews) herauszufinden, ob gezieltes Krafttraining der Wadenmuskulatur die Beschwerdesymptomatik (Schmerzen und eingeschränkte Beweglichkeit) verbessern kann. Daraus soll zudem abgeleitet werden, wie die Befunde in die Praxis integriert werden können, um für Patient:innen eine bestmögliche Behandlung zu gewährleisten.
Theoretischer Bezugsrahmen
Tendinopathie der Achillessehne
Der Begriff Achillessehnentendinopathie ist einer von mehreren Fachbegriffen, der die schmerzhafte Erkrankung der Achillessehne näher bezeichnet. In der Literatur finden sich weitere Fachbegriffe, wie z.B. Achillodynie, Tendinose und Tendinitis. Diese Begriffe werden jedoch als ungenau angesehen (Hitz et al., 2018), weshalb in der vorliegenden Arbeit ausschliesslich der Begriff Achillessehnentendinopathie verwendet wird.
Des Weiteren unterscheidet man zwischen einer Ansatztendinopathie (Insertionstendinopathie) und einer sogenannten ansatzfernen Tendinopathie (engl. mid-portion tendinopathy), welche sich 2 - 6 cm oberhalb des Ansatzes befindet. Laut ICD-10, der internationalen Klassifikation der Krankheiten und angewandter Gesundheitsprobleme der Weltgesundheitsorganisation (WHO), wird der Begriff Tendinitis als Sehnenentzündung aufgeführt (ICD-10 Version 2019). Der Begriff Entzündung ist dabei jedoch kritisch zu betrachten.
Zeichen einer "Tendinitis" mit Entzündungszellen innerhalb der Sehne liegen bei der "Tendinitis" nicht vor. Die insbesondere zu Beginn manchmal vorhandene "Entzündung" geht in aller Regel vom Peritendineum aus. Die Achillessehne besitzt keine Synovia oder Sehnenscheide, eine «Synovitis» oder «Tendovaginitis» liegt also nicht vor. (Hitz et al, 2018, S. 655).
Das Fehlen von Entzündungszellen bedeutet nicht, dass keine Entzündungsmediatoren an der Tendinopathie beteiligt sind. Die Entwicklung einer Achillessehnentendinopathie scheint daher multifaktoriell begründet zu sein (Sivrika et al., 2023).
Die typischen Symptome der Achillessehnentendinopathie sind Schmerzen und eine Schwellung um die Achillessehne, mit einhergehender eingeschränkter Funktionsfähigkeit des Fusses. Zu Beginn der Erkrankung treten nach dem Sport, einer Wanderung oder einer Arbeitsbelastung Schmerzen auf.
Die Achillessehne zeigt in dieser Akutphase, die meist bis zu 6 Wochen dauert, teilweise fluktuierende, belastungsabhängige Schmerzen ohne vorheriges Trauma und eine ödematöse subkutane Schwellung und/oder Rötung mit evtl. Krepitation (Hitz et al., 2018). Im weiteren Stadium machen betroffene Patient:innen nur noch die nötigsten Schritte und werden zunehmend auch sozial limitiert. Die Schmerzen können so stark sein, dass die Patient:innen dauerhaft und sogar nachts unter Ruheschmerzen leiden.
Für eine korrekte Diagnose wird eine Anamnese mit einer körperlichen Funktionsuntersuchung durchgeführt. Zur Bestätigung des Verdachts kann man eine Magnetresonanztomografie (MRT; engl. Magnetic Resonance Imaging (MRI)) und einen Ultraschall heranziehen. Zur Beurteilung der Schmerzsymptomatik kommen validierte Fragebögen zur Anwendung, wie zum Beispiel der Victorian Institut of Sport AssessmentAchilles Questionnaire (VISA-A) (Iversen, Bartels & Langberg, 2012). Er ermöglicht eine Selbstauskunft über Schmerz, Funktion im täglichen Leben und Aktivität der betroffenen Person. Alternativ dazu kann man den subjektiven Schmerz in einer visuellen Analogskala (VAS) oder der Nummerischen Rating Skala, kurz NRS, erfassen. Bei der Letzteren handelt es sich um eine Skala von 0 bis 10, wobei 10 den stärksten Schmerz darstellt.
Ursachen, Risikofaktoren, Behandlung
Als eine mögliche Ursache der Achillessehnentendinopathie wird die Über- und Fehlbelastung der Achillessehne angesehen, da die Erkrankung gehäuft bei Sportler:innen auftritt, insbesondere bei solchen, die eine Sportart betreiben, welche Laufen und Springen beinhaltet. Bei über zwei Dritteln der Patient:innen mit einer Achillessehnentendinopathie ist es allerdings nicht die Überbelastung, sondern der beidseitiger Kraftverlust des Triceps surae, beziehungsweise des Musculus soleus, der der Tendinopathie der Achillessehne vorangeht (O`Neill et al., 2019). Jedoch sind die eigentlichen Ursachen, vor allem für den chronischen Verlauf, noch ungeklärt.
Mögliche Gründe sind der steigende Body-Mass-Index (BMI) und anhaltende sportliche Aktivität nach dem 40. Lebensjahr. Von uns beobachtete Auslöser sind: vorhergehende Verletzungen an derselben Extremität, ungeeignetes Schuhwerk „…“, Gehen und Trainieren auf hartem Boden, Veränderung des Belastungs- und Trainingsmusters wie zum Beispiel Wechsel der Arbeitsstelle oder Sportart. (Hitz, Meier, & Huber, 2018, S. 654).
Die konservative Behandlung einer Achillessehnentendinopathie umfasst in der Physiotherapie unter anderem manuelle Therapie, Elektrotherapie, Stosswelle und Eisbehandlungen. Seit Jahrzehnten scheint Bewegung die Intervention der Wahl zu sein (Yu et al., 2013). So haben Stanish, Curwin und Rubinovich bereits 1986 ein Übungsprotokoll für Dehnungen und exzentrische Übungen der Wadenmuskulatur entwickelt. Später haben Alfredson et al. (1998) dieses Protokoll noch zu einem schweren exzentrischen Wadentraining modifiziert. Ihr Training beinhaltet vor allem hohe Gewichte zusätzlich zum Körpergewicht, welche den Trainingseffekt steigern sollen.
Methodik
Die Suche nach geeigneten Studien zur Beantwortung der Forschungsfrage erfolgte in mehreren Phasen. Die ersten Schritte der Suche zielten zur Gewinnung von allgemeinen Informationen zum Thema, sowie zum Recherchieren über die möglichen Datenbanken. Berücksichtigt wurden die von der BFH empfohlenen Datenbanken PEDro, LIVIVO, Swisscovery und PubMed. Bei der Recherche wurden grundsätzlich englischsprachige Stichworte, sog. Keywords benutzt, um die Trefferquote innerhalb der internationalen Forschungsliteratur zu erhöhen.
Viele Studien erschienen in mehreren Datenbanken. Im weiteren Verlauf der Literatursuche wurde aufgrund der höchsten Trefferquote und höchsten Publikationsdichte zu dem Thema nur die Datenbank PubMed berücksichtigt. Tabelle 1 dokumentiert die beschriebenen Parameter.
Die Literaturrecherche wurde zwischen dem 07.02.24 bis 14.02.2024 durchgeführt. Folgende Keywords wurden verwendet: Achilles tendinopathy; treatment; strength training ie uchbe riffe wur en urch en l’schen O erat ren AN erbun en Aus dieser Recherche resultierten in der Datenbank PubMed insgesamt 79 Einträge. Diese wurden auf das vorgegebene Publikationsalter von maximal fünf Jahren eingeschränkt, sodass sich die Anzahl der Einträge auf 23 reduzierte.
Um ein höheres Evidenzlevel der Ergebnisse zu erzielen, wurde die Recherche weiter präzisiert und die Ergebnisse auf systematische Übersichtsarbeiten eingegrenzt. Daraus folgten sechs Ergebnisse, welche inhaltlich geprüft wurden. Für die Beantwortung der Fragestellung wurden schlussendlich die beiden aktuellsten Übersichtsarbeiten von 2023 ausgewählt, um den letzten Forschungsstand als Quelle heranzuziehen. Abbildung 1 veranschaulicht zur besseren Nachvollziehbarkeit das beschriebene Vorgehen entsprechend eines Flussdiagramms gemäss PRISMA-Anweisung.
Ergebnisse
Die beiden ausgewählten systematischen Übersichtsarbeiten vergleichen die Auswirkungen von exzentrischen, konzentrischen und kombinierten Trainingsformen der Knie- und Wadenmuskulatur auf die Achillessehnentendinopathie im Hinblick auf Kraft und Leistung.
Die Übersichtsarbeit von Sivrika et al. (2023) untersuchte anhand der fünf eingeschlossenen Studien die Vergleichbarkeit der Wirksamkeit verschiedener Arten von Übungen bei der Behandlung von Achillessehnentendinopathie und richtete dabei zusätzlich einen besonderen Augenmerk auf die Schmerzsymptomatik.
Die fünf Studien waren randomisierte kontrollierte Studien zu Interventionen, die ausschliesslich auf Bewegung beruhen und bei Sportler:innen und Nicht-Sportler:innen durchgeführt wurden. In allen fünf Studien erhielt die Interventionsgruppe ein exzentrisches Übungsprogramm mit progressiver Belastung, während die Kontrollgruppe unterschiedliche Trainingsprogramme erhielt.
Die exzentrischen Übungen wurden in den meisten Studien sieben Tage pro Woche und zweimal täglich durchgeführt. In einer Studie wurde das Alfredson-Protokoll in der exzentrischen Gruppe angewendet, während die Kontrollgruppe andere Übungen erhielt. Patient:innen wurden angewiesen, das Programm trotz Schmerzen fortzusetzen, dies wurde von einer Fachperson kontrolliert. Leichte Aktivitäten waren erlaubt, solange sie nur leichte Symptome verursachten. In einer anderen Studie erhielt die Interventionsgruppe eine Kombination aus verschiedenen Protokollen, die progressive exzentrische Belastungsübungen beinhalteten.
Sivrika et al. (2023) berichten durch Zusammentragen der Studienergebnisse eine signifikante Verbesserung sowohl der Schmerzsymptomatik (p < 0,001 bis p < 0,05), als auch eine Verbesserung der Kraft (p < 0,05) in den Interventionsgruppen, welche exzentrische Übungen durchführten. Dies zeigte sich sowohl nach Abschluss der Intervention nach 12 Wochen als auch in der Nachbeobachtung nach 52 Wochen. Das Alfredson-Protokoll führte zu signifikanten Verbesserungen der Symptome und Funktionalität bei alltäglichen und sportlichen Aktivitäten, jedoch nicht der Lebensqualität. Zudem berichteten die Autor:innen auch Verbesserungen bei Sehnenschwellungen. Sie folgern daraus, dass die zunehmende Muskelkraft den Heilungsprozess nachhaltig fördert und dadurch die Schmerzsymptomatik dauerhaft abnimmt.
Die Übersichtsarbeit von Kim et al. (2023) untersuchte die Auswirkungen verschiedener Übungsbehandlungen (exzentrisch, konzentrisch, kombiniert) auf verschiedene funktionelle Ergebnisse (Kraft, Leistung, Bewegungsumfang, Gleichgewicht) bei Patient:innen mit mid-portion Achillessehnentendinopathie. Die verschiedenen Übungsbehandlungen wurden unterteilt, um ihre jeweiligen Auswirkungen auf die funktionellen Ergebnisse zu analysieren.
Konzentrische Trainingsprogramme zeigen eine moderate Verbesserung der Leistungsergebnisse. Für die Verbesserung der kinetischen Parameter von Kraftergebnissen, wie dem Spitzendrehmoment, oder von Leistungsergebnissen, wie der Höhe des Sargent-Sprungs, wurde für das exzentrische Training eine starke bzw. mässige Evidenz festgestellt. Darüber hinaus zeigt sich eine Verbesserung des Gleichgewichts durch exzentrisches Training, während die Anwendung von konzentrischem Training dies nicht bewirken kann. Kombinierte Trainingsmodalitäten führen laut Kim et al. (2023) nicht zu einer Verbesserung von Kraft- und Leistungsergebnissen. Plantarflexions- und Dorsalflexionsmessungen zeigen ebenfalls keine relevanten Veränderungen. Die Ergebnisse zeigen zudem, dass das volumenreduzierte exzentrische Trainingsprotokoll im Vergleich zum traditionellen Alfredson-Protokoll hervorzuheben ist. Während das Alfredson-Protokoll als Goldstandard gilt, erfordert es ein höheres Trainingsvolumen und kann zusätzliche Arbeit und „Muskelkater“ verursachen. Im Gegensatz dazu zeigt das volumenreduzierte exzentrische Training (dreimal wöchentlich über acht Wochen durchgeführt) eine signifikante Verbesserung bei Kraft, Leistung und Gleichgewicht. Dies ist besonders bedeutsam in Bezug auf Zeiteffizienz und Einhaltungsaufwand (engl. compliance) für die Proband:innen.
Zusammengefasst zeigen auch Kim et al. (2023) anhand ihrer Arbeit eine signifikante Verbesserung der Kraft- und Leistungsergebnisse bei der Anwendung von exzentrischem Krafttraining. Konzentrisches Training zeigt mässige Evidenz bei den Kraftergebnissen. Eingeschlossen wurden insgesamt zehn Studien, in denen direkte funktionelle Messungen der kinetischen, kinematischen und sensomotorischen Ergebnisse nach Übungsbehandlungen untersucht wurden. Das volumenreduzierte, exzentrische Training zeigte signifikante Verbesserungen bei Kraft (p < 0,001 bis p < 0,05), Leistung und Gleichgewicht.
Beide Übersichtsarbeiten untersuchten die Auswirkungen verschiedener Übungsformen auf die Achillessehnentendinopathie, wenn auch mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Ob und in welchem Ausmass Krafttraining die Schmerzsymptomatik und damit die Lebensqualität bei Patient:innen mit Achillessehnentendinopathie tatsächlich beeinflusst, lässt sich durch beide Übersichtsarbeiten beantworten. Tabellen 2 und 3 beinhalten die Ergebnisse beider systematischer Übersichtsarbeiten in tabellarischer Zusammenfassung.
Diskussion
Die beiden systematischen Übersichtsarbeiten gehen der Frage nach, welche Art des Krafttrainings am wirksamsten ist. Dabei haben beide Übersichtsarbeiten einen unterschiedlichen Fokus. Während Kim et al. (2023) auf die Leistungs- und Kraftergebnisse achten, untersuchen Sivrika et al. (2023) zusätzlich auch den Schmerz als wichtigen Parameter. Beide Übersichtsarbeiten kommen zu dem Schluss, dass exzentrisches progressives Training eine sehr wirksame Behandlungsmethode ist.
Die Übersichtsarbeit von Sivrika et al. (2023) belegt die Wirksamkeit eines exzentrischen Trainings zur Verbesserung der Schmerzen und der funktionellen Kapazität bei Patient:innen mit Achillessehnentendinopathie, wodurch auch die zugrunde liegende Frage dieser Literaturarbeit beantwortet werden kann.
Die Autor:innen untersuchten die effektivste Form des Trainings für die Auswirkungen des Krafttrainings auf die Schmerzsymptomatik, allerdings wurde die Dauer der Symptome nicht berücksichtigt. Die einbezogenen Studien wurden mit sehr detaillierter zusätzlicher Datenberichterstattung (engl. Supplemental Material), geringem Verzerrungsrisiko und niedrigen Abbruchraten als Studien von hoher Qualität eingestuft. In allen inkludierten Studien kommt es zu signifikanten Verbesserungen der Schmerzsymptomatik durch exzentrisches Krafttraining.
Als ein unerwartetes Ergebnis nennen die Autor:innen die Tatsache, dass das kombinierte Training keine Verbesserung der Kraftresultate brachte.
Kim et al. (2023) heben die Auswirkungen verschiedener Trainingsmethoden auf funktionelle Ergebnisparameter hervor. Sie zeigen anhand ihrer Studienüberprüfungen, dass exzentrisches Training moderate bis starke Evidenz für die Verbesserung von Kraft und Stärke aufweist, sowie eine mässige Evidenz für das Gleichgewicht. Konzentrisches Training wird als Option betrachtet, um die Leistungsergebnisse zu verbessern, insbesondere für Patient:innen, die nicht gut auf exzentrisches Training ansprechen.
Eine wichtige Einschränkung der Übersichtsarbeit von Kim et al. (2023) ist, dass keine Ausdauermessungen berücksichtigt wurden. Das bedeutet, dass bei andauernder Belastung der Achillessehne eine eventuell auftretende Schmerzsymptomatik unberücksichtigt bleibt. Aus diesem Grund liefern die Ergebnisse der Übersichtsarbeit von Kim et al. (2023) nur indirekt eine Beantwortung der zugrunde liegenden Fragestellung dieser Literaturarbeit, da zwar die Beschwerdesymptomatik, nicht jedoch die Schmerzsymptomatik nähergehend untersucht wurden.
Dennoch liefern Kim et al. (2023) sehr ausführliche Antworten hinsichtlich funktioneller Ergebnisse und richten ihre Forschungsempfehlungen in diese Richtung aus: Zukünftige Forschung sollte sich demnach mit kinematischen Ergebnisparametern befassen, um zu eruieren, welche Trainingsmethoden zur Verbesserung der Funktion und Kraft in Betracht gezogen werden sollten. Die Messung verschiedener Ergebnisvariablen, einschliesslich der Gelenkmomente, -winkel und -positionen im kinematischen Parameter und der Reflex- und Muskelaktivitäten im sensomotorischen Parameter bei Übungsbehandlungen kann ein klares Bild davon vermitteln, welche Belastungsarten zur Verbesserung dieser funktionellen Ergebnisse dienen.
Beide Übersichtsarbeiten haben eine relativ kleine Anzahl Studien eingeschlossen (Insgesamt 15 Studien mit 372 Patient:innen). Dies vermutlich aufgrund der Entscheidung, sich bei den enthaltenen Interventionen ausschliesslich auf Übungsbehandlungen zu fokussieren, ohne weitere Therapiearten mit zu berücksichtigen. Die inkludierten Studien sind alle von mittlerer bis hoher Qualität. Die untersuchten Stichproben haben tendenziell einen höheren Männeranteil, der Altersschwerpunkt liegt im jüngeren bis mittleren Alter. Deshalb stellt sich die Frage, ob aufgrund dieser unausgewogenen Alters- und Geschlechterverteilung eine eindeutige Verallgemeinerung der Ergebnisse zulässig ist (eingeschränkte externe Validität). Andererseits ist die Beantwortung von Forschungsfragen mittels Übersichtsarbeiten eine hochqualitative Arbeit, die mit dem Anspruch einhergeht, valide und allgemeingültige Ergebnisse zu publizieren, weshalb auch bewusst Übersichtsarbeiten als Literaturgrundlage für die vorliegende Literaturarbeit beschafft wurden.
Schlussfolgerung
Die betrachteten systematischen Übersichtsarbeiten liefern wertvolle Einblicke in die Wirksamkeit von Krafttraining bei der Behandlung von Achillessehnentendinopathie. Schlussfolgernd lässt sich festhalten, dass exzentrisches Krafttraining eine valide Methode zur Verbesserung verschiedener Symptome der Achillessehnentendinopathie ist, unter anderem auch der Schmerzsymptomatik.
Für meine berufliche Praxis besonders relevant erscheint mir die Erkenntnis aus der Übersichtsarbeit von Sivrika et al. (2023). Das darin beinhaltete Alfredson-Protokoll, welches als „Goldstandart“ bei Achillessehnentendinopathie gilt, scheint nicht für alle Patient:innen ideal zu sein, da es ein hohes Trainingsvolumen hat und dies eine hohe Patient:innen-Compliance erfordert.
Daher sollte, den Bedürfnissen und Ressourcen der Patient:innen entsprechend, ein progressives, exzentrisches Trainingsprogramm auf Grundlage des Alfredson-Protokolls angewendet werden. Die korrekte Ausführung der Übungen und die Compliance sind für die Effektivität der Therapie wesentlich. Das Kosten-Nutzen-Verhältnis ist mit einer hohen Patient:innen-Compliance und einer erfahrungsgemäss geringeren Ausfallrate von Bedeutung.
Quellenverzeichnis
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Kritische Beurteilung einer Systematischen Übersichtsarbeit
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