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Lernen durch Bewegung – nicht durch Erklärung


Anmerkung der SART-Redaktion:

Dieser Beitrag reflektiert die individuelle Einschätzung und den fachlichen Behandlungsansatz des Autors und stellt keine offizielle Position oder Empfehlung der SART dar.


Mit den 5 Grundsätzen (regelmässig belasten, zielgerichtet planen, individuell handeln, Intensität anpassen, Methoden und Übungen abwechseln) im Kopf, geht es an die praktische Umsetzung. Heute werfen wir einen vertieften Blick auf das motorische Lernen. Denn nicht nur was wir trainieren, ist entscheidend – sondern auch wie wir es vermitteln.

 

 

Warum implizites Lernen?

 

In der Rehabilitation möchten wir, dass Bewegungen auch unter Stress (z.B. Zeitdruck), Müdigkeit (z.B. in der Nachspielzeit) oder in neuen Kontexten (nicht nur in der Rehabilitation, sondern auch beim RTA) funktionieren. Studien zeigen: Implizit gelernte Bewegungen sind robuster – sie halten Stress besser stand und lassen sich leichter auf neue Situationen übertragen. [1] [2] Implizites Lernen ist intuitiv und somit gut geeignet für die Rehabilitation, wo das Ziel nicht Perfektion, sondern Alltagstauglichkeit ist. Die Selbstorganisation wird gefördert, es entsteht ein Lerneffekt.

Im Gegensatz dazu steht das explizite Lernen, bei dem Bewegungen über bewusste Anweisungen erlernt werden („Hebe zuerst das rechte Bein, dann...“). Häufig werden Lernprozesse durch Überkorrekturen blockiert (paralysis by analysis). Diese Art des Lernens ist fehleranfälliger, weniger stabil unter Druck und erschwert den Transfer auf andere Aufgaben oder Umgebungen.

 

 

Bewegung als Problemlösung – nicht als Idealbild

 

Bewegungen sind dabei keine abstrakten Muster, die es zu perfektionieren gilt – sie sind Lösungen für konkrete Aufgaben. Der Squat dient unter anderem dem Hinsetzten, die Front raises dem Glas aus dem Schrank holen.

 

Kein Schritt gleicht dem anderen – und das ist gut so. Bewegungsvariabilität ist keine Schwäche, sondern Ausdruck funktioneller Anpassung. Unser Ziel in der Therapie sollte daher nicht ein standardisiertes Bewegungsmuster sein, in das wir unsere Patienten hinein coachen, sondern das Lösen von Aufgaben in unterschiedlichen Kontexten.

 

 

Instruktion ist Teil des Lernens

 

 

 

 

Wie wir eine Übung anleiten, beeinflusst massgeblich den Lerneffekt. Wer jede Bewegung mit detaillierten Anweisungen zerlegt, fördert ein explizites Lernen. Wer dagegen mit offenen Aufgaben und spielerischen Elementen arbeitet, schafft Raum für implizites Lernen. Hierbei sollte das differenzielle Lernen und der constraint-led approach genannt werden. Beide Methoden scheinen ein explizites Lernen überlegen zu sein.

Beim differenziellen Lernen wird jede Wiederholung unterschiedlich durchgeführt, um die Bewegungsvariabilität gezielt zu fördern. Durch ständige Veränderungen des Bewegungsablaufs wird das Bewegungssystem dazu anzuregen, selbstständig optimale Lösungen zu finden. Dies erhöht die Anpassungsfähigkeit des Lernenden an unterschiedliche Situationen und Anforderungen.

Der constraint-led approach verfolgt einen ähnlichen Ansatz, indem er das Lernen über gezielte Einschränkungen (constraints) in der Umgebung/Aufgabe steuert. Durch das bewusste Setzen dieser Einschränkungen werden Bewegungen nicht direkt vorgegeben, sondern ergeben sich aus dem Zusammenspiel von Person, Aufgabe und Umwelt. Dadurch bleibt der Lernprozess eigenständig und erfahrungsbasiert.

 

 

Autonomie als Lernverstärker

 

Ein weiterer zentraler Baustein erfolgreichen Lernens ist Selbstbestimmung. Wer selbst wählen darf, lernt besser. Diese Form des selbstkontrollierten Lernens fördert nicht nur die Motivation, sondern auch die Selbstwirksamkeit – die Überzeugung, Herausforderungen eigenständig meistern zu können. [3]

Autonomie wirkt auf neurobiologischer Ebene: Der Akt der Wahl aktiviert das Belohnungssystem im Gehirn und beeinflusst die Ausschüttung von Dopamin – entscheidend für Lernen, Motivation und Zielverfolgung. Oft braucht es keine grossen Entscheidungen – schon kleine Wahlmöglichkeiten reichen, um das Gefühl von Kontrolle zu erzeugen:

  • Welche Übungsvariation möchte ich durchführen?
  • In welcher Reihenfolge mache ich die Übungen?
  • Möchte ich lieber mit einem Band, einem Ball oder ohne Hilfsmittel arbeiten?
  • Möchte ich Musik hören beim Training?
  • Wie viele Wiederholungen traue ich mir heute zu?

Diese scheinbar nebensächlichen Entscheidungen können entscheidende Wirkungen haben – nicht durch ihren Inhalt, sondern durch die Autonomie, die sie ermöglichen.

 

 

Fazit

In der Rehabilitation geht es primär nicht um perfekt ausgeführte Übungen, sondern um alltagsrelevante Bewegungen.

Implizites Lernen, gepaart mit Selbstbestimmung, schafft unter anderem eine Grundlage für stabile, übertragbare und motivierende Therapieerfolge.

Im nächsten Blog setzten wir unseren Fokus auf den Fokus und welche Effekte positive Erwartungen im Rahmen der Rehabilitation haben kann.

 

 


[1] Gokeler, A., Benjaminse, A., Welling, W., Alferink, M., Otten, E., & Myer, G. D. (2019).

Principles of motor learning to support neuroplasticity after ACL injury: Implications for optimizing performance and reducing risk of second ACL injury. Sports Medicine, 49(6), 853–865. https://doi.org/10.1007/s40279-019-01058-0

 

[2] Gray, R. (2021). How we learn to move: A revolution in the way we coach & practice sports skills. Perception Action Consulting & Education.

 

[3] Bandura, A. (1977). Self-efficacy: Toward a unifying theory of behavioral change. Psychological Review, 84(2), 191–215. https://doi.org/10.1037/0033-295X.84.2.191


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