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Krämpfe können die Schlaf- und Lebensqualität einschränken

Krämpfe kommen sehr häufig in der Fuss- und Wadenmuskulatur vor. In der Literatur spricht man von «Nocturnal LegCramps». Sie treten oft nachts und unerwünscht auf, sind sehr schmerzhaft und schränken sowohl die Schlaf-, als auch die Lebensqualität ein. Krämpfe treten im Alter zwischen 50 und 84 Jahren auf, können aber auch früher entstehen. Ein Blog von Jan-Arie Overberg.


Einleitung

Primäre, idiopathische Krämpfe sind sehr häufig, ebenso Krämpfe bei Schwangeren.

 

Sekundäre Krämpfe hängen von anderen medizinischen Faktoren (neurologische, endokrine metabolische, vaskuläre, kongenitale, toxische und Medikamenten abhängige) und Erkrankungen ab (Sebo et al. 2019).

 

Nächtliche Beinkrämpfe gehören zur Kategorie «sleep-related movement disorders» des ICSD-2 (International Classification of Sleep Disorders). Dort werden sie «sleep related leg cramps» genannt, was übereinstimmt mit dem Code 327.52 des ICD-9 (International Classification of Diseases) (Hallegraeff et al. 2013). Auf Krämpfe im Zusammenhang mit hochintensiven und ausdauernden, körperlichen Belastungen wird nicht näher eingegangen.

 

In der Prävention und Behandlung von Krämpfen werden die Einnahme von Magnesium und Chinin kontrovers diskutiert (Rabbitt et al. 2016). Ebenso ist das Durchführen eines Stretching- Programmes für die Beinmuskulatur nicht evidenzbasiert (Garrison 2014).

 

 

Magnesium

In der Übersichtsarbeit von Garrison et al. (2012) wurden sieben RCTs mit insgesamt 406 Probandinnen und Probanden (davon 118 cross-over Teilnehmende als ihre eigene Kontrollgruppe) erfasst. Drei davon untersuchten schwangere Frauen mit Krämpfen (N = 202).

 

Magnesium wurde mit Placebo in sechs Studien und ohne Behandlung in einer Studie verglichen. Es zeigten sich keine signifikanten Unterschiede in den Messungen der Krampfhäufigkeit bei Magnesium versus Placebo. Der Anteil der Probandinnen und Probanden, welche eine um >25% höhere Reduktion in Anzahl Krämpfen erfuhren, war auch nicht unterschiedlich (8% tiefer in der Magnesium-Gruppe). Gleichzeitig zeigte sich kein signifikanter Unterschied bei der Krampf-Intensität oder -Dauer nach vier Wochen.

 

In den Studien mit Schwangeren wurde keine Behandlungswirksamkeit oder einen positiven Effekt für Krampfintesität und -Frequenz gefunden.

 

Weil die Einnahme von Magnesium in Form von Magnesiumoxid Monohydrat (MOMH) nachweisbar eine bessere intrazelluläre Aufnahme bewirkt (Shechter et al. 2012) wurde durch Barna et al. (2021) in einer randomisierten, doppelblinden und Placebo-kontrollierten Multicenter-Studie untersucht, ob MOMH in Bezug zu Krämpfen einen Effekt hat. MOMH wurde während 60 Tagen in Form einer Kapsel (226 mg), im Vergleich zu Placebo, eingenommen. Die Krämpfe verminderten sich in beiden Gruppen ab Baseline signifikant.

 

Auch zwischen den Gruppen zeigte sich ein signifikanter Unterschied, wobei der Rückgang der Krämpfe in der MOMH-Gruppe höher war als in der Placebo-Gruppe. In der MOMH- Gruppe nahm zudem die Dauer der Krämpfe ab und die Schlafqualität verbesserte sich im Vergleich zur Placebo-Gruppe.

 

 

Chinin

Chinin scheint das einzige Medikament zu sein, welches die Häufigkeit und die Intensität von Krämpfen reduzieren kann. Dennoch scheint der Wirkungsgrad eher gering zu sein. Das Risiko von seltenen, jedoch starken immunabhängien Reaktionen, vor allem bei älteren Leuten, ist eine dosierungsbedingte Nebenwirkung. Deshalb sollte Chinin nur bei schweren Symptomen verordnet werden, wobei die Betroffenen über Risiko und Wirkung aufgeklärt werden müssen (Rabbitt et al. 2016). 

 

In ihrer Arbeit stützen Diener & Baurecht (2019) im wesentlichen diese These. Nach Auswertung ihrer prospektiven, multicenter- und nicht interventionellen Studie kommen sie zum Schluss, dass die Wirksamkeit und die Verträglichkeit von Chininsulfat bei NLC gut bis sehr gut ist. Auch Patientinnen und Patienten in der Subgruppe mit begleiteter Betablocker-Therapie verzeichneten nicht mehr therapieassoziierte Nebenwirkungen.

 

 

Stretching

Das statische Dehnen der Wadenmuskulatur scheint das einzige nicht pharmazeutische Hilfsmittel gegen Krämpfe zu sein, wurde so jedoch nie bestätigt. 

 

Coppin & Little (2005) stellten im Jahr 2005 fest, dass Wadendehnungen die Häufigkeit und die Intensität von Krämpfen nicht vermindern.

 

Hallegraeff et al. (2012) fanden in einer randomisierten, kontrollierten Studie mit 80 Probandinnen und Probanden, dass das Dehnen der Waden- und Hamstringsmuskulatur unmittelbar vor dem Schlafengehen die Häufigkeit und Intensität (gemessen mit einer VAS) von NLC bei älteren Leuten verringert. 

 

Die Art und Auswahl der Stretching-Übungen scheinen eine Rolle zu spielen und müssten genau definiert sein (Hallegraeff et al. 2013).

 

Bei älteren, gebrechlichen Seniorinnen und Senioren über 75 Jahren reduziert ein täglich über sechs Wochen durchgeführtes Stretching-Programm (Hamstrings- und Wadenmuskulatur) die Häufigkeit und Intensität von NLC (Hallegaeff & Greef, 2020).

 

Schlussfolgerung

Es wurden die drei wichtigsten Massnahmen zur Behandlung von NLC vorgestellt. Keine davon stellt die ultimative Massnahme dar.

Insgesamt ist die Einnahme von Magnesium nicht effizient. Allenfalls hat die Einnahme von Magnesium in einer besonderen Form (Magnesiumoxid Monohydrat MOMH) eine gewisse Wirkung. Bei Schwangeren sollte die Einnahme von Magnesium zur Behandlung von Krämpfen weiter untersucht werden, da die vorhandene Literatur widersprüchlich ist.

 

Die Einnahme von Chinin(Sulfat) zur Behandlung von NLC scheint (gering) wirksam und verträglich zu sein. Ein Risiko zu Nebenwirkungen vor allem bei älteren Leuten besteht.

 

Coppin & Little (2005) berichten, dass Stretching keinen Effekt auf Häufigkeit und Stärke von Krämpfen hat. Zudem wurde bei einer Teilgruppe empfohlen, auf die Einnahme von Chinin zu verzichten. Bei dieser Population verhielten sich die Anzahl Krämpfe jedoch unverändert. Ob die Probandinnen und Probanden das Chinin weiter einnahmen oder absetzten, hatte keinen Einfluss auf ihre Krampfsituation, was den Effekt doch stark in Frage stellt.

 

Hallegraeff et al. (2012, 2013, 2020) beschreiben die Wirksamkeit von Stretching bei NLC. Vor allem unmittelbar vor der Nachtruhe soll gedehnt werden, damit Krämpfe nicht mehr oder vermindert auftreten. Miller et al. (2022) bestätigen, dass Stretching zur Eliminierung gerade aufgetretener Krämpfe sinnvoll ist, jedoch als Prophylaxe keinen Effekt hat.

 

Zusammenfassend gilt folgende generelle Empfehlung (Hawke et al., 2021):

Während sechs Wochen täglich ein Stretching-Programm für die Waden- und Hamstrings- Muskulatur durchführen zur Verringerung der Krampf-Intensität (nicht Krampf-Häufigkeit). Dies gilt für Personen über 55 Jahre.

Auf pharmazeutische Produkte verzichten.

Weitere Auskünfte

Jan-Arie Overberg, MSc

fachlicher Beirat der SART


 

Literaturverzeichnis

  • Barna, O., Lohoida, P., Holovchenko, Y., Bazylevych, A., Velychko, V., Hovbakh, I., . . . Shechter, M. (2021). A randomized, double-blind, placebocontrolled, multicenter study assessing the efficacy of magnesium oxide monohydrate in the treatment of nocturnal leg cramps. Nutr J, 20(90).
  • Coppin, R. J., & Little, D. M. (03 2005). Managing nocturnal leg cramps - calf-stretching exercises and cessation of quinine treatment: a factorial randomised controlled trial. British Journal of General Practice, S. 186-191.
  • Diener, H.-C., & Baurecht, W. (2019). Chininsulfat in der Therapie nächtlicher Wadenkrämpfe: Verträglichkeit, Compliance, Lebensqualität und Einfluss auf Symptome. MMW-Fortschritte der Medizin(S6), S. 25-32.
  • Garrison, S. R. (2014). Prophylactic stretching is unlikely to prevent nocturnal leg cramps. Journal of Physiotherapy(60), S. 174-175.
  • Garrison, S., Allan, G., Sekhon, R., Musini, V., & Khan, K. (2012). Magnesium for skeletal muscle cramps.
  • Cochrane Database of Systematic Reviews.
  • Hallegaeff, J., & Greef, M. d. (2020). Pilot testing a stretching regimen for prevention of night time nocturnal leg cramps. Geriatric Nursing, 41, S. 105-109.
  • Hallegraeff, J. M., Greef, M. H., & Schans, C. P. (2013). An effective stretching regimen to prevent nocturnal leg cramps. Journal of Physiotherapy(59).
  • Hallegraeff, J. M., Schans, C. P., Ruiter, R. d., & Greef, M. H. (2012). Stretching before sleep reduces the frequency and severity of nocturnal leg cramps in older adults: a randomised trial. Journal of Physiotherapy, 58, S. 17-22.
  • Hawke, F., Sadler, S., Katzberg, H., Pourkazemi, F., Chuter, V., & Burns, J. (2021). Non-drug therapies for the secondary prevention of lower limb muscle cramps (Review). Cochrane Database of Systematic Reviews.
  • Miller, K. C., McDermott, B. P., Yeargin, S. W., Fiol, A., & Schwellnus, M. P. (2022). An Evidence-Based Review of the Pathophysiology, Treatment, and Prevention of Exercise-Associated Muscle Cramps. Journal of Athletic Training, 57(1), S. 5-15.
  • Rabbitt, L., Mulkerrin, E. C., & O'Keeffe, S. T. (2016). A review of nocturnal leg cramps in older people.
  • Age and Ageing(45), S. 776-782.
  • Sebo, P., Haller, D. M., Cerutti, B., & Masionneuve, H. (2019). A prospective observational study of the main features of nocturnal leg cramps in primary care. Swiss Med Wkly.
  • Shechter, M., Saad, T., Shechter, A., Koren-Morag, N., Silver, B., & Matetzky, S. (2012). Comparison of magnesiumstatus using X-ray dispersion analysis following magnesium oxide and magnesium citrate treatment of healthy subjects. Magnes Res, 25(1), S. 28-39.